Plaue ist seit 1952 ein Stadtteil von Brandenburg an der Havel
Pulverfabrik Plaue / Bau- und Betriebsgeschichte
DIE
DEUTSCHE REICHSBAHN
ÜBERNAHM IM JAHRE 1920
DIE PULVERFABRIK PLAUE
UND MACHTE SIE ALS
REICHSBAHNAUSBAHN-
AUSBESSERUNGSWERK
BRANDENBURG-WEST
IHREN ZWECKEN
NUTZBAR
Erbaut von der Firma:
Rothbart & Co., Berlin


Auszug aus Denkmale - Brandenburg – Pulverfabrik
In Ausschnitten zusammengestellt von Herrn Kurt Lembeck

Bau- und Betriebsgeschichte

Am 2. November 1914 beschloss die Reichsregierung die Errichtung einer Pulverfabrik zwischen Möser und Plaue, am 9. November besiegelte das königlich preußische Katasteramt Genthin den Bau. Die Lage auf der Halbinsel Möser war ausgesprochen günstig: Es befanden sich keine größeren Wohnsiedlungen in der Nähe; Plauer-, Möser- und Wendsee sowie die Bahnstrecke Berlin-Magdeburg machten das Gelände zu Schiff und Eisenbahn gut erreichbar. Das vorgesehene Baulandgehörte nach wie vor der „Interessentengemeinschaft“. Nachdem bereits Mitte November mit den Vermessungsarbeiten für die neuen Werksanlagen begonnen worden war, rief am 8. Dezember 1914 der Landrat, Graf von Schenck, die Eigentümer zusammen, um ihnen die Enteignung ihrer Grundstücke mitzuteilen. Einwände zum Bau der militärischen Anlagen kamen vor allem von dem in Plaue ansässigen Grafen von Koenigsmarck. Er befürchtete, dass durch die geplante Brücke und die daran anschließende Verbindungsstraße nach Plaue sein Landschaftspark Schaden nehmen würde und bat darum, „im Interesse unserer märkischen Landschaft ... bei diesen Neuanlagen auf das Landschaftsbild Rücksicht zu nehmen“ (Reichsbahnarchiv).

Im Januar 1915 war Baubeginn für die „Militärisch-technischen Institute bei Plaue (Havel)“, die dritte staatliche Pulverfabrik des Deutschen Reiches. Der bekannte Architekt und Stadtplaner Bruno Taut (1880 – 1938), der im 1. Weltkrieg den Kriegsdienst verweigerte, übernahm die Bauleitung, um als unabkömmlich eingestuft zu werden. Anfangs bestand die Planung nur für die Königliche Pulverfabrik, seit Mitte 1915 auch für ein Feuerwerkslaboratorium, das die Heeresleitung südwestlich der Fabrik am südlichsten Zipfel des Wendsees errichten ließ. Neben Pulver sollten hier in großen Mengen auch die wichtigsten Grundstoffe wie Schießwolle, Nitroglyzerin und Trinitrotoluol (TNT) produziert werden. Am 15. Januar 1915 konnte auf der Eisenbahnstrecke Berlin-Magdeburg die erste Weiche zum Werksgelände eingebaut werden. In rasendem Tempo errichteten hauptsächlich Gefangene die Fabrikgebäude.
Fräulein Erna Günther
Grünau i./M. am Bahnhof

Plaue 28.6.15

Liebe Erna Bin jetzt hier auf Montage, wunderbare Gegend.
Hier wird die größte Pulverfabrik der Welt gebaut.
Es arbeiten allein 5000 Russen u. Franzosen hier.

Beste Grüße dein Bruder Paul
Adresse Patendamm 5 bei Fischer
















Als erste Bauten wurden das Kraftwerk, das Kesselhaus, das Wasserwerk und eine Enteisungsanlage fertig gestellt. Bereits am 1. Juni 1915 konnte die erste Turbine des Kraftwerks in Betrieb genommen werden. Die Zahl der Arbeitskräfte, die für die Erbauung der insgesamt etwa 400 Fabrikgebäude benötigt wurden, stieg innerhalb kürzester Zeit beträchtlich: Im Januar 1915 waren es 355, im Juli 2.953 und zusätzlich 1.653 russische und französische Kriegsgefangene, im September 1915 schließlich ca. 4.000 Arbeitskräfte und 2.000 Kriegsgefangene. Schon im Mai 1915 war in speziellen Baracken eine Versuchspulverfabrikation in Betrieb genommen worden; Ende August konnte mit der Produktion in großem Maßstab begonnen werden. 1917 arbeiteten die Militärischen Institute mit voller Kapazität. Immer neue Erweiterungen wurden geplant und ausgeführt; mit Beendigung des Krieges war ein Teil der Produktionsgebäude und Werkhallen noch im Bau.

Wie im Versailler Vertrag festgelegt, mussten Pulverfabrik und Feuerwerkslaboratorium sofort liquidiert werden. Bereits während der Verhandlungen der Siegermächte über die Reparationsleistungen Deutschlands begann die Demontage der maschinellen Einrichtungen. Der größte Teil der Anlagen ging nach Serbien, Frankreich und Belgien. Lediglich das Kraftwerk mit seinen Maschinen blieb erhalten, außerdem fast alle zwischen 1915 und 1919 erbauten Gebäude. Das Reichsschatzministerium, Rechtsnachfolger der Heeresverwaltung, übernahm das gesamte Gelände. Im Oktober 1919 kamen beide Fabriken vorübergehend unter die Aufsicht der „Deutschen Werke“; es wurden Güterwagen und Lokomotiven wiederhergestellt.

Am 23. Februar 1920 erwarb schließlich die Reichseisenbahnverwaltung die ehemaligen Militärischen Institute, um sie vollends auf einen friedenswirtschaftlichen Betrieb umzustellen. Die vertraglich festgelegten Reparationsleistungen betrafen auch Lokomotiven und Eisenbahnwagen: Insgesamt mussten 8.000 Loks, 280.000 Güterwagen und 13.000 Personenwagen an die Siegermächte abgeliefert werden. Deshalb sollte die ehemalige Pulverfabrik innerhalb kürzester Zeit zu einem der modernsten Eisenbahnwerke Europas umgebaut und erweitert werden.

Das „Reichsbahnwerk Plaue“, seit Mai 1921 „Eisenbahnwerk Brandenburg-West“, hatte etwa 400 Fabrikgebäude, 172 Wohnungen und 500 Arbeiter von der Pulverfabrik übernommen. Die Produktionsgebäude wurden in Reparatur- und Unterhaltungswerkstätten umgebaut. Nach Plänen des Ingenieurs Friedrich Neesen entstand zwischen 1922 und 1924 auf dem Gelände hinter dem Feuerwerkslaboratorium das modernste Lokomotivuntersuchungswerk Deutschlands. Es bestand aus fünf zusammenhängenden Hallen von insgesamt 310 m Länge und 120 m Breite. Dazu gehörte außerdem ein gegenüber gelegener halbrunder Lokomotivschuppen. Durch die hier eingeführte „fließende Fertigung“ gelang es zunächst, die Arbeitszeit für eine ausführliche Lokomotivuntersuchung von einem Vierteljahr auf 18 Tage herabzusetzen. 1926 verließen täglich ein bis zwei ausgebesserte Lokomotiven die Werkhallen. Parallel zum Lokomotivwerk wurde das „Zentralwerk“ aufgebaut. Es nahm den Hauptteil der ehemaligen Pulverfabrik beiderseits des Hauptwegs ein. Im ehemaligen Feuerwerkslaboratorium fand die Zentralschule der Reichsbahn Platz.

Eine große chemische Versuchsabteilung, eine Reihe von Untersuchungs- und Werkzeugaufarbeitungs-Werkstätten, eine Sauerstoffanlage und eine Weichenwerkstatt wurden eingerichtet. Insgesamt war das Eisenbahnwerk in elf Abteilungen untergliedert und produzierte - angefangen bei Fahrkartenlochzangen und Schaffnerhandlaternen - so gut wie alles, was für Lokomotiven und Waggons benötigt wurde. Vom Eisenbahnwerk, das eine Größe von ca. 550 ha hatte, mussten im Jahr 1926 40 km Vollspurgleis, 10 km Schmalspurgleis, 38,8 km Straßen, 22 km Einfriedung, 398 Werkgebäude und 918 Wohnungen unterhalten werden. Bis 1942 blieb das Eisenbahnwerk Brandenburg-West als Reichsbahnausbesserungswerk bestehen. Ein Teil des Werks wurde auf Kriegsproduktion umgestellt. 1939 kamen die ersten Kriegsgefangenen nach Kirchmöser; sie wurden in Baracken nördlich der großen Lokomotivhalle untergebracht. Einige Änderungen an den bestehenden Fabrikanlagen wurden um 1940 vorgenommen: Unter anderem erhielt die große Lokomotivhalle, die seit 1942 als Panzerwerk diente, einen Erweiterungsbau. Zur gleichen Zeit wurde der halbrunde Lokomotivschuppen nach Osten erweitert. Am Südtor wurden zwei separate Fabrikhallen (Nr. 180 und 181) durch einen Zwischenbau mit spitzer Helmbekrönung verbunden. Sie dienten als Kantine der 1939 eingerichteten „Bahnschutzschule“. 1942 wurde das Lokomotivwerk demontiert und in insgesamt 276 Waggons verladen; es sollte in Kramatorskaja (Sowjetunion) wieder aufgebaut werden. Dazu kam es jedoch nie. Am 12. Mai 1945 übernahm die Rote Armee das Werk. Entsprechend den Potsdamer Beschlüssen sollte es als faschistischer Kriegsbau demontiert und gesprengt werden. Der größte Teil der Demontage war bereits im September abgeschlossen; die ca. 400 Gebäude der ehemaligen Pulverfabrik konnten jedoch stehen bleiben, nachdem die Kommunistische Ortsgruppe eine Denkschrift an den Kommandierenden der Sowjetischen Besatzungszone verfasst und um die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze gebeten hatte, 1946 begannen auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration die ersten Wiederherstellungsarbeiten an Lokomotiven und Güterwaggons. Das Werk wurde in „RAW Brandenburg-West“, 1965 in „Werk für Gleisbaumechanik“ umbenannt und der Reichsbahnbaudirektion Berlin unterstellt.

Zusätzlich kam eine Reihe anderer Betriebe in den Gebäuden unter, unter anderem ein Weichenwerk, ein Werkteil des Walzwerks Brandenburg, eine Gießerei, ein Zweigbetrieb der Möbelwerke Rathenow und eine Gärtnerei. In den Gebäuden des ehemaligen Feuerwerkslaboratoriums und Lokomotivwerks ließ sich die sowjetische Armee nieder und betrieb hier bis 1992 ein Panzerwerk. Zurzeit werden die Gebäude von 27 verschiedenen Behörden und Betrieben genutzt, ca. 15 % der Fabrikhallen stehen leer. Bedeutung Die Anlage der ehemaligen Königlichen Pulverfabrik, ihre enorme Ausdehnung und kurze Entstehungszeit dokumentieren in eindringlicher Weise die Anstrengungen, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs für die Ausweitung der Rüstungsproduktion unternommen wurden. Ihre Wirkung bezieht sie vor allem aus der Einheitlichkeit und Funktionalitäten der Einzelbauten, die gleichzeitig ästhetisch ansprechend, teilweise sogar sehr repräsentativ gestaltet sind. Die städtebauliche Konzeption mit der gesamten zwischen 1915 und 1918 angelegten Infrastruktur der Militärischen Institute und die Erweiterungen unter der Reichbahndirektion in den zwanziger Jahren (vor allem Siedlungsbauten und Sozialeinrichtungen) prägen bis heute das Gesicht der Halbinsel Kirchmöser. Die Charakteristika des gesamten Fabrikgeländes sind - einschließlich zahlreicher originaler Baudetails - vollständig überliefert, Neubauten sind kaum hinzugekommen, auch wurden nur wenige Gebäude abgerissen oder durch Umbauten entstellt. Insgesamt eines der Hauptbeispiele für den Industriebau der späten Kaiserzeit im Land Brandenburg.